Als mein jüngstes Kind im Alter von drei Jahren an Leukämie erkrankte, begann für die ganze Familie eine schwere Zeit. Eine der wichtigsten Kraftquellen um dies durchzustehen, war für uns die Equotherapie, die Therapie mit Pferden. In der akuten Zeit wurden die älteren Geschwister als erstes damit „aufgefangen“ und durch die schlimmste Zeit begleitet. Das genesende Kind konnte mithilfe der Pferde, der Therapeutinnen und der anderen Kinder wichtige Schritte zurück ins Leben machen. Für mich als Mutter, die die Familie durch diese Jahre getragen hat, war es eine ganz besonders heilsame Erfahrung, mich auch selbst einmal tragen zu lassen. Deshalb war es Karin Rössler für das aktuelle Thema der Winterausgabe des freigeist ein persönliches Anliegen Anke Huber um einen Einblick in die Hintergründe dieser Kraftquelle zu bitten.
Anke, bitte erzähle uns vorerst, wie du selbst zu den Pferden gekommen bist.
Schon mit sechs Jahren war ich fasziniert von Pferden. Ich wollte unbedingt reiten lernen und scheute keine Mühen dies auch zu erreichen. Obwohl ich eigentlich noch zu klein war, setzte ich mich durch und war die kleinste und jüngste Pferde-närrin in unserem Reitstall. Schon mit sechs waren die Pferde meine Vertrauten, meine Trostspender, meine besten Freunde.
Ab meinem 11. Lebensjahr verbrachte ich fast mehr Zeit im Reitstall bei den Pferden als Zuhause oder in der Schule, anfangs zum Leidwesen meiner Eltern. Die hätten gerne mehr Zeit mit mir verbracht bzw. wollten, dass ich mich mehr mit der Schule beschäftige. In der Pubertät waren sie dann sehr froh, dass ich meine Zeit mit ausmisten, füttern, Pferde putzen etc. verbrachte, statt meine Nächte in der Disco rumzuhängen, zu rauchen und zu trinken …
Während des Studiums bot sich mir eine tolle Möglichkeit meinen Berufswunsch mit meiner Leidenschaft mit Pferden zu verbinden. Ein Traum ging in Erfüllung!
Was genau beinhaltet deine heutige Tätigkeit?
Seit über 20 Jahren begleite ich, gemeinsam mit meinen Pferden, Menschen therapeutisch, einerseits in individuellen Einzelstunden, andererseits auch in Kleingruppen für Kinder ab 2 Jahren. Ich biete Elterncoaching für Familien und weitere Bezugspersonen, sowie Beratung, Unterstützung und Begleitung von Entwicklungsprozessen.
Was ist das Besondere an dieser Arbeit?
Als Pädagogin und Therapeutin erlebe ich oft, wie Menschen im Umgang mit Pferden tief berührt werden. Durch den Kontakt mit dem Pferd entsteht rasch Vertrauen, weil es dem Menschen ohne Vorurteil und ohne Erwartung begegnet. Es spürt Stimmungen und reagiert unmittelbar und ehrlich. Diese besondere Verbindung hilft vielen Menschen, sich zu öffnen und sich auf Neues einzulassen. Wenn ich als Therapeutin miterleben darf, wie das passiert, wie Menschen wieder Kraft schöpfen, ist das auch für mich jedes Mal etwas ganz Besonderes. Auch merke ich selbst, wie ich zur Ruhe komme, wenn ich mit den Pferden und Kindern arbeite. Welche große Unterstützung das Pferd nicht nur in der Begleitung therapeutischer Prozesse ist, sondern auch um Interpretation und Manipulation von Entwicklungsprozessen zu verhindern, bzw. eine Beschleunigung zu vermeiden.
Ich kann mir vorstellen, dass es nicht jedem Menschen leicht fällt, sich darauf einzulassen…
Da das Pferd einen sehr hohen Aufforderungscharakter hat, bricht es schnell Abwehrmechanismen. Außerdem schaffen die großen, von Natur aus freundlichen und neugierigen Tiere immer eine beruhigende, motivierende Atmosphäre. Mit seinem sensiblen und einfühlsamen Wesen stellt sich jedes meiner Pferde auf jeden Menschen (der mit ihm in Kontakt tritt) ganz speziell ein. Es nimmt uns, wie wir sind, ohne Bewertung, und begleitet uns Menschen im Hier und Jetzt. Viele, die >> zu den Pferden kommen, sagen, die Ruhe, das Sein im Hier und Jetzt, erdet sie und gibt ihnen Kraft, Mut und Hoffnung für den Alltag. Für mich ist auch die Umgebung und das Umfeld, in welchem die Pferde leben, sehr wichtig. Die Ruhe in der Natur, die Bewegung und Das-sich-Zeit-Nehmen für… ist ein wichtiger Bestandteil der Erfahrung bzw. eine wichtige Ressource, die aus dem Umgang mit den Pferden entsteht.
Warum ist gerade das Pferd so gut als Therapiepartner geeignet?
Mensch und Pferd verbindet eine sehr lange gemeinsame Geschichte. Pferde haben Menschen auf ihrem Weg zur Zivilisation begleitet und diese in großen Teilen sogar erst ermöglicht. Daraus resultiert eine tiefe Verbundenheit. Noch heute assoziieren wir mit dem Pferd Freiheit, Abenteuer, Mut und Stärke – aber auch Sanftheit und Treue. Pferde sind Symbol menschlicher Taten, Erfahrungen, Wünsche und Phantasien. Sie sprechen unsere Emotionen in ganz besonderer Weise an. Außerdem sind Pferde großartige Lehrer und kraftvolle Gefährten bei unserem seelischen Wachstum und Heilung. Ihre Kraft, ihre Ursprünglichkeit, ihre Authentizität, ihre Unschuld, ihr Mut und ihre Stärke helfen uns, unsere innere Welt wieder zu ordnen und unsere eigene Wahrheit und Authentizität wiederzufinden.
Weiß man, wie das funktioniert? Wie treten die Pferde in Kontakt mit den Menschen? Und was kann das bei uns bewirken?
Pferde kommunizieren über Energien, so wie wir Menschen auch, allerdings haben wir häufig den Kontakt und das Vertrauen dazu verloren. Oft hören wir unsere eigene innere Wahrheit nicht mehr, haben gelernt, Emotionen zu unterdrücken, und ignorieren unsere innere Stimme. Dadurch verlieren wir den Kontakt zu uns selbst und nicht zuletzt auch die Fähigkeit, gute Beziehungen aufzubauen, gemeinsam zu wachsen und unseren Platz in der Gemeinschaft, sei es beruflich oder privat, zu finden. Pferde sind sehr ehrlich und unvoreingenommen und geben uns unmittelbar und ehrlich Feedback auf unser Verhalten, sowie auf unsere Stimmung. Sie helfen uns dabei, uns selbst wieder besser zu verstehen und ermöglichen so eine Veränderung.
Für das Pferd ist es nicht wichtig, was ein Mensch erlebt hat, sondern wie er sich im Augenblick fühlt, und wie authentisch er sich gibt. Pferde lassen sich nicht durch vordergründige Äußerlichkeiten täuschen wie z.B. wie attraktiv, beherrscht oder stark ein Mensch auftritt. Sie reagieren vielmehr auf Gestik, Stimme, Atmung, Stimmungssignale, Körperspannung und die Echtheit der Beziehung.
Pferde sind vom Wesen her fürsorglich, und durch ihre körperliche Stärke auch in der Lage uns zu tragen. Das fördert gleichzeitig Verantwortung und Mut. Vom Rücken eines Pferdes übertragen sich Schwingungsbewegungen auf den Reiter, die zu einem Bewegungsdialog zwischen Mensch und Pferd führen. Die rhythmische Bewegung des Pferdes im Schritt ist der des Menschen sehr ähnlich. Sie stimuliert auf körperlicher wie auf geistiger Ebene und integriert den Bewegungsablauf in der Dreidimensionalen. Haltung, Gleichgewicht und Koordination werden spielerisch trainiert und Selbstheilungskräfte werden aktiviert. Wer auf dem Pferd sitzt, kann außerdem seine Haltung verbessern, wer liegt, seinen Rücken entspannen.
Die Aufgabe des Therapeuten besteht darin, das bestmögliche Setting und damit die Grundlage für einen positiven Prozess herzustellen.
Du kannst dich sicherlich an viele Highlights in deiner Arbeit mit den Pferden und Kindern erinnern. Möchtest du ein paar dieser besonderen Momente mit uns teilen?
Besonders gern erinnere ich mich an die Zeit mit Nicolas, der als Zwölfjähriger zu mir zu den Pferden kam, weil er aufgrund seines äußerst aggressiven Verhaltens bereits wiederholt die Schule hatte wechseln müssen. Angeblich konnte er auch nur sehr schlecht Deutsch. Im Umgang mit den Pferden war er anfangs zurückhaltend, betätigte sich jedoch gerne körperlich, z. B. beim Ausmisten, und „kuschelte“ auch mit den Pferden (lehnte sich an, umarmte diese, streichelte das flauschige Fell…). Besonders gerne beschäftigte sich Nicolas mit den Pferden auf der Weide (wo es viel Platz gab). Im Kontakt mit den Pferden stellte sich auch heraus, dass er sehr wohl etwas Deutsch konnte, sein passiver Wortschatz war sogar ziemlich gut.
Eines Tages suchte er intensiv Kontakt zu Björk, der Leitstute, welche zwar neugierig, aber im Umgang mit Unbekannten auch sehr vorsichtig ist. Als diese sich durch irgendeine Bewegung des Jungen erschreckte, stürmte sie davon, sehr kraftvoll und beeindruckend. Nicolas war überrascht. “Warum lauft sie davon, sie ist doch viel stärker und grösser als ich?“ wunderte er sich. Ich erklärte ihm, dass Pferde Fluchttiere sind, und die Flucht, das Weggehen, Ausweichen, immer ihre erste Wahl ist, wenn sie sich unwohl fühlen.
Der Bub hatte eine neue Möglichkeit der Konfliktbewältigung erfahren, und wie mir seine Betreuer später berichteten, gelang es ihm auch, diese in seinen Alltag zu integrieren. Er ließ sich weniger provozieren und reagierte bei Konflikten seltener mit Gewalt, sondern ging einfach weg.
In einem anderen Fall waren es die erwachsenen Begleitpersonen, denen neue Perspektiven eröffnet wurden:
Eine Einrichtung für sozial auffällige Jugendliche in Fremdunterbringung fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, mit vieren ihrer „hoffnungslosen“ Fälle zu arbeiten. Mir war sehr wichtig, dass immer mindestens einer der Betreuer mitmachte, um die Beziehung zwischen den Jugendlichen und den Erwachsenen zu stärken. Anfangs war ich ein wenig skeptisch, denn ich dachte, Pferde sind in diesem Alter eher ein Mädchenthema. Ich wurde aber sehr angenehm überrascht, weil doch alle mit Begeisterung dabei waren. Zum einen machte den Buben natürlich die körperliche „Arbeit“ Spaß, aber auch hier bestand ein großes Bedürfnis nach „Kuscheleinheiten“, und die Burschen gingen sehr liebevoll und fürsorglich mit den Pferden um, übernahmen Verantwortung für das Tier. Bei einer Teamreflexion brachte dies dann auch einer der Sozialarbeiter zur Sprache. Er meinte: “Wow, ich hätte nie gedacht, dass die Burschen so sein können. Das macht mir Mut, weiter an der Beziehung zu arbeiten und gibt mir neue Hoffnung, dass sich ihr Verhalten auch im Alltag verändern kann!“