Für Schüler der Lernwerkstatt im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren gibt es nun schon seit drei Jahren das Angebot Waldwerkstatt. Blockweise empfangen wir – Bowen, Petra und Elija – die Kinder einmal pro Woche für vier Nachmittagsstunden in einem abwechslungsreichen Waldgebiet im Raum Krems. Wir eröffnen dabei bewusst einen Raum, in dem Erfahrungen in der realen Welt für die Kinder möglich sind: Sinne werden geschärft, Wahrnehmungen werden erweitert, Naturverbindung geschieht. Von Petra Weissenbacher.
Der Nachmittag startet bei uns mit dem Spiel „Schaf und Wolf“ – einer Verfolgungsjagd. Während dem Spiel kommen laufend weitere Kinder an und können sofort in das Spiel einsteigen. So verbringen wir die Ankommenszeit bereits sehr lustvoll. Der weitere Ablauf beinhaltet immer einen Kreis, wir erleben uns dabei als Gruppe, sehen und spüren uns gegenseitig, kommen als Gruppe zusammen. Die Erwachsenen ergreifen dabei die Chance, die Wünsche der Kinder zu hören, die meist aus sehr konkreten Vorstellungen für den bevorstehenden Nachmittag bestehen.
Abgerundet wird der Nachmittag sehr oft mit einem auf alte Weise erzeugten Feuer. Dieses Feuer wird ohne technische Hilfsmittel nur mit dem Prinzip der Reibung entfacht, was immer wieder magisch und sehr beeindruckend für die Kinder und für uns Erwachsene ist. Im Winter ist dies für uns ein großes Geschenk, da wir bis zu eineinhalb Stunden in Dunkelheit verbringen.
Der Hauptteil unseres Nachmittages ist sehr vielseitig: von „gemeinsam durch den Wald stromern“ über verschiedene Spiele bis zu Naturhandwerk. Die besondere Kinderleidenschaft „Kampf“ hat bei uns ihre Entfaltungsmöglichkeit im Stockkampf gefunden.
Dabei sind klare Regeln wichtig, die schon mit der Wahl des Stockes beginnen. Die Stöcke sollten für jeden in etwa gleich lang (ca. 1,5 m) und dick sein. Ein Ende wird mit dem Schnitzmesser abgerundet, um Verletzungen an kantigem Holz zu vermeiden. Beim Kampf selbst bleibt der Stock immer unten in Bodennähe. Ziel ist, den Mitspieler unterhalb der Gürtellinie zu berühren. Das bezeichnen wir als „ab sein“. Sollte versehentlich doch eine Verletzung passieren, besagt die Regel, dass der, der ihm diese zugefügt hat, solange bei dem Verletzten bleibt, bis es diesem wieder gut geht. Bei gleichzeitiger Berührung sind beide für einen ausgemachten Zeitraum „ab“ (zum Beispiel zehn Sekunden). Diese Regeln erfordern von allen Mitspielern ein hohes Maß an Achtsamkeit und Fairness und ermöglichen so ein sicheres Spiel.
Die Wiesenschlacht
Bei dieser von Ron Bachmann von der Wildnisschule Wildalpen benannten Art des Stockkampfes spielt jeder für sich, auf einer zuvor begrenzten Fläche. Wenn jemand berührt wurde, macht der dies durch eine deutliche Körperhaltung für alle weiteren Mitspieler sichtbar und wartet, bis derjenige ab ist, der ihn selber ab gemacht hat. Wenn dies geschieht, kommt man zurück ins Spiel. Das heißt, alle bleiben stets im Spiel und beobachten aktiv den Spielverlauf. Immer wieder kommt es vor, ab zu sein, erwischt worden zu sein. Für viele ist dies auch eine willkommene Pause, da das Spiel auch körperlich sehr anstrengend sein kann.
Was wir in diesem Spiel beobachten können: Total ins Geschehen versunkene Kinder, gesteigerte Reflexe, geschmeidige Bewegungen, um den Stöcken der anderen auszuweichen oder diese mit ihren eigenen Stöcken abzuwehren, empathische junge Menschen, wenn doch mal ein „Blauer Fleck“ passiert, Begeisterung und ganz viel Spaß. Darüber hinaus konnten wir auch erhöhte Aufmerksamkeit bei den Kindern erkennen, da sich von allen Seiten Mitspieler mit ihren Stöcken nähern könnten. Immer wieder sehen sich Kinder um, ob wer hinter ihnen ist. Alle Sinne sind in höchster Wachsamkeit und Alarmbereitschaft. Diese „Gefahr“, die die Kinder bei der Spielart erfahren, die ihren Herzschlag beschleunigt, die Hände an den Stöcken schwitzen lässt, macht es unserer Meinung nach auch so interessant, spannend und aufregend für die Mitspieler.
Alle diese Erfahrungen werden real erlebt, am eigenen Körper, mit echten Emotionen, gemeinsam mit anderen, gleichaltrigen, jüngeren und älteren Kindern – von Erwachsenen begleitet. Nach der Wiesenschlacht kommen wir immer zusammen und reflektieren gemeinsam die Erlebnisse. So kann noch einmal jeder zu Wort kommen, um für sich und die Gruppe das Spiel abzuschließen.
Die Waldschlacht
Eine weitere Art des Stockkampfes ist die Waldschlacht, ebenfalls von Ron Bachmann benannt. Die Regeln gleichen im Wesentlichen der Wiesenschlacht, hier werden allerdings zwei Gruppen gebildet. Eine Gruppe zieht voraus und versteckt sich in einem vorher abgesprochenen Waldgebiet. Nach einer vereinbarten Zeitspanne zieht die zweite Gruppe mit offenen Sinnen in den Wald, der ersten Gruppe hinterher. Mit „Eulenaugen“ und im „Fuchsgang“ wird nach Spuren oder Hinweisen gesucht, wo sich die erste Gruppe gerade aufhalten könnte. Beim gegenseitigen Entdecken kommt es dann zum Stockkampf. Wer bei diesem Spiel ab ist, bleibt aber ab. Das Spiel endet, sobald alle Mitglieder einer Gruppe erwischt wurden.
So sind unsere Waldwerkstattkinder von der Wiese wieder in den Wald spaziert. Dort, in ihren Verstecken, die mit Laub bedeckt oder mit Ästen getarnt sind, am Boden liegend – der vielleicht etwas kühl und feucht ist -, wo sie Waldluft atmend mit ihrer Umgebung verschmelzen, eins werden mit dem Wald, dort beruhigt sich auch die Natur wieder. Die Vögel kommen zurück aus ihren Verstecken, nehmen in unmittelbarer Nähe der Kinder ihre gewohnten Tätigkeiten auf. Eidechsen, Blindschleichen, Schlangen, Eichhörnchen, Mäuse, Insekten werden entdeckt oder sind sogar über die Kinder gekrabbelt. Einmal hat sich sogar ein Greifvogel neben einem Kind auf einem Ast niedergelassen. In den Verstecken der Kinder passiert spielerisch echte Naturverbindung. Außerdem wird die Komfortzone der Kinder erheblich erweitert.
Wenn wir Erwachsene solch spannende Entdeckungen erleben wollen, suchen wir in der Natur unseren „Sitzplatz“ auf, kommen bewusst zur Ruhe. Auch da >> erleben die Menschen, abgesehen von ihren inneren Prozessen, diese wertvollen Naturerlebnisse.
Wesentlich ist, dass immer jeweils ein Begleiter in jeder Gruppe anwesend ist, der die Dynamik im Auge und im Gefühl behält. Dies bietet den Kindern eine sichere Atmosphäre in dem aufregenden Spiel. In den einzelnen Gruppen erleben wir ein starkes Zugehörigkeitsgefühl jedes Einzelnen. Die Gruppen schweißen richtig zusammen. Taktiken und Strategien werden ausgemacht und gemeinsam ausprobiert. Was für ein Abenteuer!
Auch bei der Waldschlacht ist uns die gemeinsame Reflexion nach dem Spiel sehr wichtig. Fragen, wie „Wie ist es dir beim Kampf gegangen?“ oder „Wie habt ihr uns gefunden?“ helfen manchmal, den Redefluss der Kinder zu starten. Oft äußern sich Kinder der gegnerischen Gruppe gegenüber auch sehr wertschätzend. Oder es wurde auch etwas als unfair empfunden – diese Kinder wollen gehört werden!
Am Ende des Tages kommt manchmal, wenn wir alle gemeinsam um das Lagerfeuer sitzen und dem Knistern der Flammen lauschen, die wärmespendenden Flammen in unseren Gesichtern, Händen und Füßen spüren, öfters auch Schokobananen oder andere Leckereien in der Glut brutzeln, eine letzte Frage auf. Und diese Frage bildet oft sogar eine Abschlussgeschichte, die Geschichte des Tages, wenn alle schon ein wenig müde und ausgetobt sind. Diese Frage könnte lauten: „Was habt ihr in euren Verstecken erlebt?“ Diese Geschichte inspiriert jeden Zuhörer und motiviert dazu, sich selbst für diese Abenteuer zu öffnen.