„Meñique“, sagen meine Schulkolleginnen zu mir. „Menike“, flüstere ich und schaue meinen kleinen Finger an. Die Lehrerin erklärt an der Tafel etwas, das ich nicht verstehe und die Mädchen rund um mich hören ihr wieder zu. Ich schreibe schnell das erste spanische Wort, das ich in meiner neuen Schule gelernt habe, in mein Notizbuch: meñique = kleiner Finger. Im Geographieunterricht bekomme ich nichts mit, erst in der Englischstunde verstehe ich, worum es geht. So war es an meinem ersten Schultag in Costa Rica.
Von Leonie Mayr
Ich habe von 2015 bis 2016 ein Jahr in Mittelamerika gelebt. In Costa Rica, einem kleinen Land zwischen Panama und Nicaragua. Ich war davor noch nie außerhalb Europas und nie länger als 4 Wochen weg von daheim, alleine schon gar nicht. Ich konnte bei meiner Ankunft kein Spanisch und die Leute dort meist nur wenig Englisch, also war ich in den ersten Wochen vor allem von Google-Translate und der Kommunikation mit Händen und Füßen abhängig.
Ich habe ein Austauschjahr in Costa Rica gemacht. Das bedeutet, ich habe bei einer Gastfamilie gewohnt und besuchte die lokale Schule. Am Anfang war alles sehr neu, ungewohnt und aufregend. Die Sprache sowieso, aber auch die Kultur, Gewohnheiten, das Essen, die Umgebung und ganz viele Kleinigkeiten, an die ich vorher gar nicht gedacht habe.
Beim ersten Treffen mit meiner Gasttante haben wir uns mit einem Bussi auf die Wange begrüßt. Ich wollte für die andere Seite ansetzen (wie man das in Österreich eben macht, Bussi links, Bussi rechts) und sie hat mich ganz verwirrt angeschaut, ich hab innegehalten und ebenso verwirrt zurückgeschaut. In Costa Rica begrüßt man sich nur mit einem Bussi, dafür praktisch alle, die LehrerInnen in der Schule genauso wie Leute, die man gerade erst kennengelernt hat oder den Pfarrer.
Verhaltensweisen lernt man relativ schnell. Wenn etwas unangepasst ist, macht man das einfach nicht mehr, man beobachtet und passt sich der Umgebung an. Mit der Sprache ist es im Grunde genauso, man hört zu und lernt. Ganz so einfach ist das natürlich nicht. Aber wenn man genug Zeit hat und alle rund um einen diese Sprache den ganzen Tag lang sprechen, ist man dem ständig ausgesetzt. Durchs Zuhören bekommt man ein Gefühl für die Sprache. Dabei entstehen natürlich auch und vor allem am Anfang einige Missverständnisse, z. B. wurde ich in Costa Rica bei der Begrüßung immer gefragt, wie es mir geht. Da musste ich anfangs immer überlegen: „Ja, wie geht’s mir eigentlich?“. Meistens ging es mir eh gut, normal oder naja, so mittel. Ich habe versucht, immer möglichst ehrlich und begründet zu antworten, was die Leute oft irritiert hat, bis ich irgendwann gecheckt habe, dass es einfach die Begrüßung ist. „Hola, como estas“, da will man nicht wissen, wie es der Person wirklich geht. Man macht es halt einfach und die Antwort ist immer: „bien“ (gut).
Ein anderes Beispiel ist die Redewendung “Gracias a Dios“ (Dank Gott). In der Aussprache klingt es allerdings gleich wie „Gracias Adios“ (Danke, Tschüss), was mich, mitten in einem Gespräch, ziemlich verunsichert hat.
Den ersten Satz, den mir meine Gasteltern beigebracht haben, habe ich zwar so gut wie nie verwendet, aber auch nie wieder vergessen: „Yo cepillo mis dientes, todos los dias“. Man sagt ja auch bei uns nicht sehr oft, dass man jeden Tag Zähne putzt.
Die Basics in Spanisch habe ich schnell beherrscht, aber sobald etwas komplizierter wurde, bin ich auf Englisch umgestiegen oder eben auf Google-Translate. Bis ich irgendwann beschlossen habe, dass ich so nicht weiter komme. Ich musste ins kalte Wasser springen und einfach Spanisch reden, selbst wenn es nicht ganz korrekt war.
In der Schule bin ich dann oft mit Rigo, meinem Englischlehrer, zusammengesessen. Ich habe ihm deutsche Wörter beigebracht (z. B. Oachkatzlschwoaf), er mir spanische, meistens Schimpfwörter.
Bei einem dieser Gespräche hat er mir vorgeschlagen, dass ich mal in den zur Schule gehörenden Kindergarten gehen soll, um dort mitzuhelfen und Spanisch zu üben. Das war wunderbar. Mit den Kindern musste ich Spanisch sprechen. Sie waren die besten LehrerInnen. Ihre Sprache war einfacher und sie waren total ehrlich, wenn ich etwas nicht richtig ausgesprochen hatte. Wir hatten oft die Situation, dass ich etwas von ihnen wollte, das entsprechende Wort aber nicht korrekt ausgesprochen hatte, mich aber wirklich bemüht hatte und es z. B. verschieden betonte. Und alle Kinder gaben mir zu verstehen: “Nein, das verstehen wir nicht“, bis wir irgendwann auf das richtige Wort gekommen sind – meist nur minimal anders ausgesprochen, als ich es schon die ganze Zeit probiert hatte. Aber genau so etwas hat mich weiter gebracht. Ich hatte außerdem eine kleine Gastcousine, Valeria, mit der ich jeden Nachmittag beisammen war. Da war es dasselbe, sie konnte kein Englisch, also musste ich Spanisch reden. Bei ihr hab ich mich auch mehr getraut Fehler zu machen.
Und mit der Zeit war es einfach da, ich konnte Spanisch. Es kam nicht über Nacht, aber je mehr Zeit verging, desto mehr wurde es normal, Spanisch zu hören, zu lesen, zu schreiben und zu sprechen. Ich habe nie einen Kurs besucht, aber als ich dann nach ungefähr einem halben Jahr angefangen habe in Spanisch zu träumen, wusste ich, ich bin wohl richtig eingetaucht in die Sprache, in die Kultur und das Land.
Nach der Matura war ich dann noch einmal ein Jahr in Lateinamerika. Diesmal in Ecuador, um einen Freiwilligendienst in >> einer Schule zu absolvieren. Ich habe dort in der ersten Klasse, mit den Jüngsten, gearbeitet. Dadurch, dass ich schon Spanisch gesprochen habe, konnte ich gleich viel intensiver teilhaben, mithelfen und eintauchen. Ich habe mich gleich zuhause gefühlt und musste nicht wieder ganz von vorne anfangen. Außerdem war es speziell mit den Kindern so, dass wir sofort eine sehr innige Beziehung hatten, weil ich sie und sie mich verstanden haben.
Ich habe mir recht schnell den ecuadorianischen Akzent angewöhnt. Ich habe dort im Hochland gewohnt und immer, wenn ich an der Küste war, haben die Leute gemeint: „Ah, du kommst wohl aus den Bergen“. Das finde ich schon sehr cool, dass man sich automatisch so anpasst an den Dialekt und die Slang-Wörter.
Ich denke, dass ein längerer Aufenthalt in einem anderssprachigen Land eigentlich die natürlichste Form ist, eine Sprache zu lernen – durch das normale Leben und die ständige Konfrontation mit der fremden Sprache, diese jeden Tag zu hören, zu lesen und sprechen.
Ich habe nach gut zwei Jahren in Lateinamerika die Sprache gut erlernt und oft waren die Leute überrascht, wenn ich als vermeintliche Touristin anfing, fließend Spanisch zu sprechen. Einen Grammatiktest, wie in der Schule, würde ich aber vermutlich trotzdem nicht bestehen, da ich nie irgendwelche Regeln gelernt habe. Ich habe einfach ein Gefühl für die Sprache, ich weiß, was richtig klingt und was falsch, wie und wann ich die Vergangenheits- oder Zukunftsform anwenden muss – ich könnte die Regeln dafür aber nicht benennen.
Diese zwei Jahre waren eine wahnsinnig coole Erfahrung, die mich mein ganzes Leben lang bereichern wird. Ich habe unglaublich viel gelernt, unter anderem auch, dass es viel mehr gibt als nur die Sprache, die uns verbindet.