Ein Interview mit Ulli Tinhofer-Sonntag, nun das 10. Jahr Begleiterin in der Lernwerkstatt und ab Herbst im Schulleitungsteam, von Maria Altmann-Haidegger.
Wie wurde die spezielle Situation der Corona-Krise pädagogisch umgesetzt?
Das war für uns schon eine ganz große Herausforderung, weil das Ganze auch sehr plötzlich über uns hereingebrochen ist. Zuerst haben wir gedacht, wir haben ein bisschen mehr Zeit und können die Schülerinnen und Schüler langsam darauf vorbereiten, ihnen Materialien mitgeben für zuhause und dann haben uns die Ereignisse praktisch überrollt. Wir haben damit gerechnet, dass wir ein paar Tage mehr Zeit haben, das war dann nicht so. Ja, und dann sind wir vor der Herausforderung gestanden, Schule ganz anders zu organisieren als bisher. Wir haben begonnen, Materialien zusammenzusammeln, diese Materialien per Mail-Verteiler an die Eltern unserer Schülerinnen und Schüler zu schicken, viel Zeit in Videokonferenzen verbracht, um uns teamintern abzustimmen. Denn im normalen Schulalltag haben unsere Schülerinnen und Schüler sehr viele Wahlmöglichkeiten, zum Beispiel ist jeder von uns für die Eltern eines bestimmten Kindes Ansprechperson, aber eben nur für die Eltern. Die Kinder können sich aussuchen, zu wem von uns Erwachsenen sie kommen, das heißt, ein Erwachsener hat vielleicht das Tagebuch, der nächste Erwachsene ist Tutorin oder Tutor und wieder ein anderer Erwachsener führt die Elterngespräche. Und diese Abstimmung, wer nimmt mit welcher Familie Kontakt auf, dass nicht jemand dreimal angerufen wird oder was noch schlimmer wäre, jemand völlig übersehen wird. Da haben wir uns schon ganz gut koordinieren müssen.
Ihr habt in der Zeit, als alle Kinder zuhause waren, sehr viel über E-Mails ausgeschickt: Zweimal pro Woche habt ihr unterschiedlichste Materialien aus den Bereichen Deutsch, Mathematik, Englisch, Biologie, Geschichte, Geografie, Physik und Chemie, … (Rätsel, Lückentexte zu verschiedenen Frühlingsblumen oder zur englischen Grammatik, Rechenaufgaben, Detektivgeschichten, Kochrezepte, geografische Karten zum Ausfüllen, Bastelanleitungen, Aufsatzthemen, Rittergeschichten,…) für jede Altersgruppe als E-Mails an die Eltern gesendet. Ich habe es nachgezählt – bei der letzten Aussendung waren es 28 verschiedene Materialien! Einmal pro Woche gab es auch immer eine Bildcollage aus dem Schulalltag…
In Bezug auf die Medien habe ich die Lernwerkstatt bisher immer sehr kritisch erlebt und plötzlich ist man reduziert auf die digitalen Medien – genau das, was die Kinder so wenig wie möglich haben sollten.
Das hat auch intensive Diskussionen bei uns ausgelöst. Ab welchem Alter halten wir es für sinnvoll, über welchen Kanal mit den Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu treten? Für uns war völlig klar, dass wir bei den älteren Jugendlichen keinerlei Bedenken haben, computermäßig mit ihnen in Kontakt zu treten, ihnen die Lernmaterialien an ihre eigene E-Mail-Adresse zu schicken, die sie uns auch gerne zur Verfügung gestellt haben. Es hat teilweise Zoom-Meetings mit Jugendlichen gegeben – ab 13, teilweise auch ab zwölf. Bei den jüngeren Kindern haben wir teilweise aus Elternrückmeldungen gehört, wenn die Kinder sich untereinander privat am >>
Computer getroffen haben, Videokonferenzen gemacht haben, geskypt haben, dass sie manchmal sehr, sehr aufgeregt reagiert haben. Und deswegen war es uns sehr wichtig, bei jüngeren Kindern andere Formen des Kontakts zu wählen. Teilweise telefonisch, teilweise sind – ganz altmodisch – Briefe und Postkarten geschrieben worden. Wir haben versucht, während des Lockdowns eine dem Alter und unserer Pädagogik entsprechende Kontaktaufnahme zu wählen.
Nun steht die Schulöffnung kurz bevor. Retrospektiv – welche Chancen, aber auch welche Nachteile hat die Corona-Krise für die Lernwerkstatt gebracht?
Gerade was Abgängerinnen und Abgänger betrifft, haben wir uns jetzt sicher mehr mit Online-Lernplattformen auseinander gesetzt, was den Jugendlichen sicher zugute kommen wird, wenn sie sich auf Aufnahmeprüfungen und auf weiterführende Schulen vorbereiten. Manche Kinder haben vielleicht ganz gerne das Tagebuch nicht mit der Hand geschrieben, sondern in den Computer getippt. Ansonsten sehe ich jetzt die Vorteile nicht so groß und freue mich schon sehr, wenn wir wieder zum persönlichen Umgang zurückkehren können, denn das, was tatsächlich über Sprache transportiert wird, ist in einer Kommunikation ja eigentlich nur ein sehr geringer Prozentsatz. Es wird ja extrem viel über den Tonfall, über Mimik und Gestik transportiert und dieser ganze – ja einfach – zwischenmenschliche Kontakt, den möchte ich nicht vermissen und ich finde, dass Schule ja bei weitem nicht nur für die Wissensvermittlung zu sorgen hat, sondern das Menschliche und Zwischenmenschliche keinesfalls außer Acht lassen darf.
Wir sind soziale Wesen und brauchen den Kontakt mit anderen – das Distanzhalten entspricht uns einfach nicht!
Und je stabiler man emotional ist und je mehr man auch in der momentanen Situation in der Lage ist, rational und abstrakt zu denken, umso besser kommt man vielleicht mit der Ausnahmesituation zurecht. Aber je jünger man ist – oder am Beginn des Lebens, am Ende des Lebens – oder in einer emotional schwierigen Situation, umso wichtiger ist der Kontakt und ist natürlich auch der Körperkontakt, der normalerweise in unserm Alltag auch eine sehr wichtige Rolle spielt, den wir jetzt, wenn die Schule nach der Corona-Krise wieder aufgemacht wird, nicht in dieser Form haben können, wie wir das gewohnt sind.
Verändert diese Krise die pädagogischen Grundlagen?
Ich glaube, die pädagogischen Grundlagen werden sich dadurch nicht verändern. Es kommt mir ein bisschen so vor wie: Es ist schon fein, eine barrierefreie Wohnung zu haben, wenn ich es brauche, wenn ich vielleicht wirklich nicht mehr so mobil bin. Wenn ich aber überlege, was für große Vorteile es bieten kann, einfach auch ein Stiegenhaus zu haben – es hält uns doch länger mobil und länger beweglich. Und so ähnlich kommt mir das mit den digitalen Hilfsmitteln vor. Als Krücke oder wenn ein normaler Schulunterricht nicht möglich ist, dann möchte ich sie gerne verwenden. Aber so lang alles im grünen Bereich ist, solange wir uns von Angesicht zu Angesicht treffen können, möchte ich digitale Medien im Schulalltag gerade bei jüngeren Kindern nicht haben.
Wie sieht das für die Jugendlichen aus?
Ich vermute, dass sich ein bisschen etwas ändern wird bei den Älteren, sagen wir, vielleicht bei den 14-, 15-Jährigen, dass wir vielleicht Online-Lernplattformen mehr verwenden werden, aber ich vermute, dass die grundsätzliche Herangehensweise sich nicht verändern wird. – Weil wir einfach auch so gute Erfahrungen damit gemacht haben. Es nützt ja nichts, wenn ich mit einem Computer umgehen kann, aber nicht weiß, was ich eigentlich damit tue. Es nützt mir nichts, wenn ich eine Power-Point-Präsentation erstellen kann, ohne zu wissen, worüber ich überhaupt rede. Ich finde es extrem wichtig, mich zunächst einmal mit den konkreten Dingen zu beschäftigen. Und wenn ich das gut kann, wenn ich ein Verständnis für die Welt entwickelt habe, dann kann ich die Technik dazunehmen und einen getippten Text verfassen oder vielleicht eine Computerpräsentation erstellen. Aber für mich kommt doch die reale Welt zuerst.
Das Thema dieser Freigeist-Ausgabe ist fremd/sprache – deshalb meine Frage: Wie funktioniert das Fremdsprachenlernen im alternativen Bereich, in der Lernwerkstatt?
Das ist eine schwierige Frage, weil jedes Kind in jedem Lernbereich seine eigene, ganz individuelle Herangehensweise hat. Ich kann sagen, was wir anbieten, was wir machen: Es gibt bei uns sehr viele Materialien, es gibt Puzzles, es gibt einfache Bücher, es gibt verschiedenste Lernspiele. Aber Sprache lebt letztendlich vom Sprechen und die ganz große Begeisterung kommt bei den meisten erst dann, wenn sie einen Grund haben, eine Fremdsprache zu verwenden. Für viele von unseren Kindern und Jugendlichen ist der Anlass, mit den jungen Erwachsenen vom europäischen Freiwilligenprogramm zu sprechen.
Wir haben jedes Jahr vom European Voluntary Service zwei junge Menschen aus anderen Ländern bei uns in der Lernwerkstatt. Die Länder wechseln sehr stark – von Russland, Türkei, Spanien, Italien, …. hatten wir schon Volunteers. Normalerweise ist es so, wenn diese jungen Erwachsenen am Anfang bei uns sind, dass sehr viel Englisch gesprochen wird. Dann hören auch die Kinder und Jugendlichen diese Sprache und kriegen meist riesengroße Ohren und sind unglaublich neugierig und wollen wissen, was da eigentlich gesprochen wird. Und dann kommt es sehr stark auf die Persönlichkeit und das Engagement dieser europäischen Freiwilligen an, ob sie es schaffen, einen guten Draht zu den Kindern und Jugendlichen aufzubauen. Sie haben bei uns immer die Möglichkeit, Fremdsprachenangebote zu machen, sei es Englisch oder auch in ihrer Muttersprache. Wir hatten einmal eine sehr gute Serie, wo wir drei Jahre hintereinander junge Frauen aus Spanien hier hatten, was bei manchen Kindern wirklich sehr große Begeisterung geweckt hat. Aber es hängt eben von der Persönlichkeit ab. Manche von diesen europäischen Freiwilligen sind nicht ganz so engagiert, nicht so motiviert oder finden auch den Zugang zu unseren Kindern nicht so leicht.
Ja, und dann gibt es auch so das ganz Klassische. Es gibt jede Menge Schulbücher, Grammatikbücher, Bücher mit Lesetexten, Bücher mit CDs. Der Schwerpunkt ist da auf Englisch, wobei wir grundsätzlich auch andere Materialien zu anderen Sprachen haben. Kinder und Jugendliche, die eher eine mathematische Herangehensweise haben, setzen sich unter Umständen einfach mit einem Grammatikbuch hin und arbeiten fleißig vor sich hin. Andere haben eher den Zugang, dass sie versuchen ins Plaudern zu kommen, zum Beispiel kurze Alltagsgespräche auch mal auf Englisch stattfinden, weil die Kinder Spaß daran haben. Und was immer wieder einmal passiert, ist, dass Songtexte übersetzt werden. Da gibt es immer wieder mal ganz großes Interesse – wenn die Begeisterung da sozusagen über die Musik kommt.
Du hast in der letzten Zeit in der Lernwerkstatt viele Angebote zu Deutsch gemacht. Welche Erfahrungen hast du damit gemacht?
Damit habe ich jetzt sehr lange Zeit nichts zu tun gehabt und es hat mir nun riesigen Spaß gemacht, mich da einzuarbeiten. Und ich bin teilweise ganz fasziniert, welche Texte unsere vor allem schon älteren Jugendlichen schreiben können. Wenn sie das machen, um sich für die Aufnahmeprüfung für eine weiterführende Schule vorzubereiten, dann tut es mir manchmal fast ein bisschen weh, weil da bestimmte Regeln bei den Textsorten zu beachten sind – und diese freien, oft sehr kreativen Texte dann in diese Textsorten einzupassen, fällt mir schwer und schmerzt mich auch ein bisschen. Ich versuche dann die Rückmeldung so zu geben, dass ich sage, wie mir der Text gefällt, aber auch dazu sage, wäre das jetzt eine Aufnahmeprüfung, dann müsstest du dieses und jenes auch noch beachten. Aber unabhängig davon ist der Text so, wie er gemacht wurde, einfach wunderbar.
Danke!
Danke dir! Ich freue mich schon auf die nächste Ausgabe.