Vor 3 Jahrzehnten eröffnete sich mir eine neue Welt, eine mir sehr wichtige Welt.
Die magische Welt des Schauspielens.
Von Lucia Koble
Norbert Mlinar war damals neu im Begleiterteam der Lernwerkstatt und hatte die Idee mit uns „Der kleine Prinz“ auf die Bühne zu bringen. Die Kostüme faszinierten mich sofort! Norberts Partnerin, Monika Mlinar, zauberte im Laufe der Jahre eine Vielfalt von Kostümen für die Aufführungen der „Pistatschios“. So nannten wir die Theatergruppe der Lernwerkstatt.
Ich sehe Norbert heute noch an seinem Regie-Tischchen sitzen. Die Beine übereinander geschlagen, eine Schale Pistazien vor sich. Diese Pistazien waren fixer Bestandteil der Proben und so wurde die Gruppe „Pistatschios“ genannt. Eine eingedeutschte Schreibweise für das spanische Wort für Pistazien. Denn auch die spanische Sprache haben die Mlinars, viele Jahre in Ecuador lebend, mit in die Lernwerkstatt genommen.
Vor einigen Tagen hat mich Norberts Sohn Marijan Mlinar angerufen, der nun seit einigen Jahren die Theatergruppe der LWS weiter leben lässt. Er hat mich gebeten einen Artikel über die Anfänge der Pistatschios zu schreiben und voilà: mein Hirn begann zu rattern und einige Bilder leuchteten aus weiter Ferne auf! Und so habe ich Ja gesagt.
Ich werde diese Erinnerungen und die Verknüpfungen, die ich dazu habe, frei sprudeln lassen – meine ganz persönliche Sicht auf die Anfänge und was sie für mich bedeuteten.
Zuallererst möchte ich meine große Anerkennung an Norbert und Marijan aussprechen, die das Theater an der Lernwerkstatt lebendig gemacht haben.
Da ich vor 10 Jahren selbst das Vergnügen hatte an der Freien Aktiven Schule Stuttgart eine Theater AG ins Leben zu rufen und zu leiten, weiß ich nun aus eigener Erfahrung wie viel Zeit, Herzblut, Energie und Engagement dahinter stecken.
Danke Norbert, danke Marijan für euren Elan und die Liebe zu dieser so wichtigen, transformierenden Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen!
Zurück zu meinem 14-jährigen Ich, das sich plötzlich inmitten der Rollenfindung für den König (Der kleine Prinz) wie zu Hause angekommen fühlte. Auf der Bühne mit jeder Faser diesen König zu spüren und zu verkörpern erfüllte mich zutiefst.
Ich bin keine Handwerkerin, jedoch das Theaterhandwerk packte mich von Anfang an. Die Arbeit an der Rolle, die Proben, die Dynamik im Ensemble, die Aufführungen, die Stunden vor der Aufführung, irgendwo ankommen, vorbereiten, das Wuseln hinter der Bühne und dann die Magie des Scheinwerferlichts und das völlige Eintauchen in eine andere Persönlichkeit, in eine andere Welt und dabei das Publikum spüren, als Teil davon.
Um die magische Welt auf der Bühne entstehen zu lassen, geht eine Menge Teamwork voran. Das Theater bietet eine Vielfalt an wichtigen Jobs und es fasziniert mich nach wie vor, wie organisch die Kinder und Jugendlichen ihre Bereiche auswählen – oder teilweise mehrere Aufgaben übernehmen. Da gibt es zum Beispiel die BühnenarbeiterInnen, die TontechnikerInnen oder die MaskenbildnerInnen.
Da fällt mir ein: An der Freien Aktiven Schule gab es mit den Primarias jeden Freitag Mittag eine kurze Aufführung, die sie am Vormittag mit mir erarbeiteten. Zu dieser Aufführung kam meist ein ganz fixes Publikum. Bestimmte Kinder haben nie aktiv mitgewirkt, waren aber immer als Zuschauer vertreten.
Bis ich die Rückmeldung einer Kollegin bekam, wie wichtig für einige dieser Kinder das Zuschauen ist, war mir das gar nicht bewusst.
Und ja: Theater ohne Zuschauer macht echt keinen Spaß! Und laut Aristoteles erlebt der Zuschauer eine Katharsis, einen Reinigungsprozess 😉 ist also sehr wohl ein aktiver Teil!
Für mich ist Theater ein Gemeinschaftsprojekt. Das beste „analoge Medium“, wenn man so sagen kann, das meiner Meinung nach immer verzaubern wird. Auch in einer digitalen Medienwelt!
Doch natürlich muss man erst mal mit dem Theater vertraut gemacht werden. So wie der Fuchs dem kleinen Prinzen das Entstehen einer Freundschaft erklärt.
Deshalb bin ich sehr glücklich, dass es die Pistatschios in meinem Leben gab und dass sie über all die Jahrzehnte noch immer bestehen!
Theater sollte ein fester und essentieller Bestandteil einer Schule sein. Das haben schon viele WissenschaftlerInnen erkannt und ausgesprochen.
Die Lernwerkstatt hat so eine Theaterkultur und dadurch ist es den Kindern und Jugendlichen möglich einen reichen Schatz an Potentialentfaltung für sich zu nutzen.
Das führt mich zu meinem Highlight aus meiner Teenagerzeit und den ersten Bühnenerfahrungen:
Mich hat total fasziniert und berührt, wie anders ich meine Mitschülerinnen auf der Bühne erleben konnte! Da waren Mädchen, die im Schulalltag kaum gesprochen haben, oder eine ganz leise Stimme hatten, die plötzlich auf der Bühne, in ihren Rollen, den ganzen Raum eingenommen haben. Die Stimme laut, die Person größer als ich sie davor im Alltag wahrgenommen habe.
Die transformierende Kraft und Magie des Schauspielens!
Ich habe die Jahre in Stuttgart mit der Theater AG der Freien Aktiven Schule geliebt, weil ich zurück geben konnte, was ich selbst erleben durfte und meine Begeisterung fürs Theater mit ihnen teilen konnte.
Das Schönste war für mich zu sehen wie Kinder und Jugendliche über sich hinausgewachsen sind, lebendig, facettenreich und ausdrucksstark!
Ein Mädchen, das den Status „integrativ“ hatte und sonst eine Einzelgängerin war, wurde ein wichtiger Teil des Ensembles und verkörperte ihre Rolle derartig kraftvoll, dass alle nur so staunten. Andere Kinder, die als sehr unverbindlich galten, wurden von mir immer wieder im wahrsten Sinne des Wortes für die Proben „eingefangen“ und die Gruppe hat dadurch gelernt, dass Theater nur als Team funktioniert.
Eine weitere Faszination waren die beiden Jugendlichen, die die Auswahl der Stücke übernahmen und einen Roman zum Stück umschrieben und schließlich zu den Leitern der Theater AG wurden.
Und da bin ich wieder in meiner eigenen Jugend und den Pistatschios.
Das zweite Stück der Pistatschios war „Momo“ von Michael Ende.
Gemeinsam mit meiner Freundin Judith, damals selbst noch Momo genannt, habe ich den Roman in Szenen umgeschrieben. Wow! Was für eine Freude!
Mit 15 Jahren hatte ich mich entschieden ins Gymnasium zu gehen und ich weiß noch, wie ich mich gefreut habe, als Norbert mich und andere Ex-Lernwerkstättlerinnen gefragt hat, ob wir auf Tournee nach Tirol mitkommen wollen. So eine wunderbare Abwechslung zum öden Schulalltag und wieder eintauchen können – in die magischen Welten.
Das Theater und meine Liebe zum Handwerk des Schauspielens hat mich mein Leben lang immer wieder begleitet. In verschiedensten Lebensabschnitten und in verschiedensten Facetten.
Die Pistatschios waren der Anfang!
Ja, Hermann Hesse, du hast es schon richtig gesagt: Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne!
Schön, dass es euch gibt, Pistatschios!