Das derzeit dominante, globale System der Lebensmittelversorgung folgt der Logik des global vorherrschenden Wirtschaftssystems. In diesem geht es im Wesentlichen um die Aufrechterhaltung von Waren- und Geldflüssen, um Vermehrung von Kapital und um sogenanntes Wirtschaftswachstum. Das hat zur Folge, dass die Produktion von Lebensmitteln nicht in erster Linie dem Zweck der gesunden und nachhaltigen Lebensmittelversorgung von Menschen dient. Viel mehr geht es darum, möglichst große Mengen an Lebensmitteln in Umlauf zu bringen, um damit Geldflüsse anzuregen und Profit zu erzielen. Das hat weitreichende Folgen: Überproduktion, Lebensmittelmüll, Ausbeutung von Mensch und Boden, Landenteignung, Hunger ebenso wie Fettleibigkeit.¹
Diese globalen Dynamiken großräumig zu unterbrechen oder gar ‚abzuschaffen‘ erscheint utopisch. Alternativen ins Leben zu rufen, also kleine Nischen zu schaffen, die neben und im global dominanten System Bestand haben, ist jedoch möglich! Das Speiselokal in Neulengbach versteht sich als eine derartige Nische und ist (wie auch die Greißlerei in St. Pölten, www.greisslerei.org) bereits 10 Jahre aktiv.
Das Speiselokal – der etwas andere Bioladen
Das Speiselokal ist ein Bioladen, ein wenig anders als die meisten Bioläden. Es gibt (fast) nur das, was auf kleinen, bäuerlichen und handwerklichen Betrieben in naher Umgebung wächst, und das in Bio-Qualität. Die meisten Waren müssen vorbestellt werden. Geliefert wird weitgehend verpackungsfrei. Es gibt eigentlich alles, was man so braucht: Gemüse, Brot, Getreide, Hülsenfrüchte, Eingemachtes, Milchprodukte, Fleisch, Fisch und die Basics des täglichen Bedarfs wie Toilettenpapier, Reinigungsmittel oder Kosmetika. Bestellt wird über einen Webshop www.speiselokal.org bis Dienstag um 9:30 Uhr. Am darauffolgenden Freitag können die Waren zwischen 10 und 18 Uhr abgeholt werden.²
Warum Lebensmittel auf Bestellung?
Das Bestellsystem, wie vom Speiselokal praktiziert, fordert einiges von den VerbraucherInnen. So muss man etwa planen und abschätzen, was in der kommenden Woche gebraucht wird. Bestell- und Abholfristen müssen eingehalten werden und es sollte möglichst eigenes Verpackungsmaterial genutzt werden. Außerdem sieht man erst freitags, wie groß die bestellten Melanzani tatsächlich sind.
Für die HändlerInnen birgt das Bestellsystem einen relativ hohen logistischen Aufwand und viel Kommunikation mit BäuerInnen und VerbraucherInnen. So wird beispielsweise wöchentlich erfragt, welches Gemüse in der kommenden Woche in welcher Menge lieferbar ist.
Warum also der ganze Aufwand mit dem Bestellen? Die Antwort: Das Bestellsystem ist eine einfache und effiziente Möglichkeit, Lebensmittelmüll zu vermeiden, in der Produktion, im Handel und bei den VerbraucherInnen.
In der Produktion wird durch das Bestellsystem eine Überproduktion weitgehend vermieden, weil nach Bedarf produziert wird. Im Handel wird verkauft, was bestellt wurde. So ist etwa das Speiselokal Freitag Früh vollgepackt mit frischen Lebensmitteln, abends ist es beinahe leer. Es bleibt nur die haltbare Lagerware in den Regalen stehen. Etwaige Gemüsereste werden zu Eintopf und Quiche verkocht.
Den VerbraucherInnen hilft das Bestellsystem, bewusster einzukaufen und mit der Zeit besser abzuschätzen, was man tatsächlich in einer Woche verbraucht. So wird alles fristgerecht aufgegessen. Durch das Wissen, wo, wie und von wem die gekauften Produkte erzeugt werden, erhöht sich die Wertschätzung der Produkte und das Wegwerfen fällt schwerer.³
Wozu die Zusammenarbeit mit kleinbäuerlichen und handwerklichen Betrieben?
Die Zusammenarbeit mit kleinstrukturierten Betrieben ist die Voraussetzung für den Erhalt und Aufbau einer kleinräumigen Lebensmittelversorgung, abseits des dominanten Systems der Lebensmittelverteilung via Supermärkte.⁴
Bereits jetzt ist ein Großteil der bäuerlichen und handwerklichen Infrastruktur in Österreich verschwunden. Schälmühlen etwa, die kleine Mengen an Getreide reinigen und verarbeiten sind rar. So wird beispielsweise für die Erzeugung feiner Haferflocken der Hafer zwar in Österreich gereinigt, für die Weiterverarbeitung zu haltbaren Flocken jedoch nach Deutschland gebracht. Dort wird er gedämpft, gequetscht, zerkleinert und schließlich wieder nach Österreich geliefert.
Der Erhalt und Aufbau kleinräumiger Versorgungsstrukturen ermöglicht eine Vielfalt an Versorgungssystemen. Eben diese Vielfalt erscheint wesentlich für den Aufbau einer widerstandsfähigen Lebensmittelversorgung. Anders gesagt: Es ist wichtig, nicht ausschließlich von großräumigen und monopolisierten Versorgungssystemen abhängig zu sein, sondern Alternativen zu stärken. Sie bieten Ausweichmöglichkeiten, sollte das derzeit dominante System der Lebensmittelversorgung einmal nicht mehr funktionieren.
Der intensive Kontakt zwischen ProduzentInnen, HändlerInnenn und VerbraucherInnen macht Arbeitsbedingungen und Preisgestaltung weitgehend transparent. Dies erscheint als wichtige Voraussetzung für die Umsetzung, Verhandlung und Akzeptanz angemessener und gerechter Arbeitsbedingungen und Preise.
Warum regionale Lebensmittelversorgung aus biologischem Anbau?
Der geringe Transportaufwand ist ein wesentlicher ökologischer Vorteil der regionalen Lebensmittelversorgung. Bei effizienter Transportlogistik spart die regionale Lebensmittelversorgung Transport-km und verringert damit den CO₂ Ausstoß.⁵
Die sinnvolle Gestaltung des Transportes ist herausfordernd, insbesondere für kleinstrukturierte ProduzentInnen. Es ist nicht sinnvoll, dass jede/r Einzelne kleine Mengen an Lebensmitteln ausliefert. So stellt sich die Frage, wer wessen Produkte mitnehmen kann, wo also kooperiert werden kann, sodass nur mit vollen Lieferwägen gefahren wird. Manchmal braucht es den Zwischenhandel, um eine zeitlich, ökologisch und ökonomisch sinnvolle Transportlogistik zu ermöglichen.
Und weiter gedacht hätte eine weiträumige regionale Lebensmittelversorgung den Effekt, dass weniger Fleisch konsumiert werden könnte. Denn die zum Zweck >> des Fleisch-Konsums ‚kolonisierten‘ Anbauflächen für Futtermittel würden weitgehend fehlen. Damit könnten die ‚kolonisierten‘ Anbauflächen des globalen Südens wieder von den dort lebenden Menschen genutzt werden.
Und schließlich fördert die biologische Produktion von Lebensmitteln den Erhalt der Artenvielfalt, die Gesundhaltung des Bodens, den Humus-Aufbau und die damit verbundene Bindung von CO₂ im Boden sowie die artgerechte Tierhaltung.⁶
Fazit – Gemeinsam alternative Strukturen aufbauen!
Wenn wir gemeinsam die ökologische (Land)-Wirtschaft vor Ort stärken und neue, solidarische Verteilungssysteme ins Leben rufen, bauen wir Strukturen, die nicht nur vor Ort, sondern weltweit Nahrungsmittelsicherheit, Vielfalt und Selbstbestimmtheit und damit Ernährungssouveränität ermöglichen. Wir schaffen und erhalten derart Alternativen, Nischen zur Agro-Industrie und den Supermarktketten und ein soziales Netzwerk, das Mensch und Natur wertschätzt.⁷
Wir alle gestalten unser System der Lebensmittelversorgung!