Ein kalter, windiger Regentag im Waldkindergarten ist voller Herausforderungen. Und Möglichkeiten! Ein Einblick in einen verregneten Waldfexxxen-Vormittag.
Von Marise Pollatschek.Fries
Eintauchen
Endlich regnet es! Seit Monaten hat der Wald zu wenig Feuchtigkeit bekommen und die Natur freut sich über jeden einzelnen Tropfen. Aber 40 Liter an einem Tag? Welche Kleidung hält da noch dicht? Und wie schaffen wir es, die Kinder mit klammen, nassen Händen in den kommenden vier Stunden angenehm zu begleiten? Immerhin liegt die Außentemperatur bei 2 bis 3 Grad Celsius. Der lebhafte Frühlingswind tut noch, was er kann, um die Herausforderung zu vergrößern.
Um 08:30 Uhr treffen wir Begleiterinnen uns mit allen Waldfexxx-Kindern bei der „Bank“, wo die Kinder jeden Tag in der Früh von ihren Eltern übergeben werden. Der erste Tropfen findet einen Weg an meiner Kapuze vorbei und wandert den Hals entlang Richtung Schulter. Nochmals begutachte ich mein Outfit, tausche die Kapuze gegen den Regenhut und suche die ersten Ersatzhandschuhe aus meinem Rucksack, um sie einem Kind zu geben. Heute sind 20 von 43 Kindern da. Viele Eltern lassen ihre Kinder an Tagen mit extremen Wetterbedingungen daheim im Trockenen.
Die Begeisterung erwacht
Um 08:45 sind alle Kinder angekommen und wir starten gemeinsam los zu unserer ersten Station, den Kletterbäumen. Meistens verweilen wir hier, es wird gejausnet, geklettert, gespielt, … Heute ist es so nass, dass die Jausenboxen schnell zu Schwimmbädern werden, wir sind voll und ganz damit beschäftigt, die Kinder dabei zu begleiten, sich warm zu halten. Einige Kinder beginnen Regenwürmer zu sammeln. Für die gefundenen Würmer werden Häuser gebaut, wo sie vor Schritten sicher sind. Andere Kinder springen durch die Pfützen und freuen sich unglaublich über die Massen an Nass, die da unter ihren Füßen zu spüren sind.
Heute ziehen wir schneller weiter, als wir es an „normalen“ Tagen tun. Noah feiert Geburtstag und hat genug Kuchen für alle Kinder mit, somit gehen wir an diesem Tag gemeinsam zu unserem Basislager. Dort gibt es ein Tipi, in dem Feuer gemacht wird. Die Kinder haben die Möglichkeit, im Trockenen zu essen und sich aufzuwärmen. Wer spielen mag, geht raus, dafür ist es im Tipi neben dem Feuer zu eng. Und Spielmöglichkeiten tun sich bei diesem Wetter viele auf! Der Erdhügel hat sich über Nacht in eine glitschige Rutsche mit Schlammsuhle verwandelt. Die meisten Erwachsenen würden hier wahrscheinlich mit einem gewissen Sicherheitsabstand vorbeigehen. Die Kinder sind wie magisch angezogen von dieser lehmigen Gatschlandschaft. Der erste Gummistiefel steckt bis zum Schaft im Schlamm, groß ist die Herausforderung, ihn mitsamt dem Fuß wieder herauszuziehen. Die Geräuschkulisse verändert sich. Immer mehr Gekicher und freudiges Gekreische sind zu hören. Die Menge an Schlamm, Gatsch und Wasser lässt die Kinder fast schon euphorisch werden. „Schau mal! Jetzt weiß man gar nicht mehr, welche Farbe meine Jacke hat!“, ertönt eine Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und sehe ein komplett mit Schlamm beschmiertes Kind da stehen. Ich freue mich über die Begeisterung der Kinder und den Spaß, den sie haben. Persönlich kann ich es mir nicht vorstellen, wie man sich freiwillig bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt im nassen Erdreich suhlen mag. Den Kindern macht es Spaß! Offensichtlich so viel, dass ihnen Kälte und Nässe nichts anhaben können.
Wer krabbelt denn da?
„Da, ein Feuersalamander!“ Der nächste begeisterte Ausruf lenkt die Aufmerksamkeit der Gatschmonster-Kinder auf den kleinen, gelb-schwarzen Krabbler, der sich einen Weg quer über den Erdhügel und durch die Hexenküche sucht, bevor er einen geschützten Platz unter dem Laub findet. Wo man hinschaut, sind Regenwürmer und Nacktschnecken zu sehen. Gäste, die sich an den trockenen Tagen sonst kaum zeigen und die von den Kindern lange beobachtet werden. Auch für mich gibt es Dinge, die ich zum ersten Mal sehe. Eine Nacktschnecke verspeist einen toten Regenwurm. Kinder, die dies beobachten, beginnen eine Schutzzone für andere Regenwürmer zu errichten, damit nicht mehr Würmer den Nacktschnecken zum Opfer fallen.
Mit allen Sinnen
Mit allen Sinnen lassen sich fast alle Kinder, die an diesem herausfordernden Tag in den Kindergarten gekommen sind, auf das Erleben im Wald ein. Der Gatsch an den Händen reicht manchen nicht aus und sie schminken sich auch noch ihr Gesicht. Das absolute Eintauchen in den Regentag mit allen Begleiterscheinungen bringt natürlich auch Krisen mit sich. Nicht alle finden Gatsch lustig. Und als ‚von oben bis unten beschmiertes Gatschmonster‘ kann man auch nicht mehr ins Tipi, um sich beim Feuer aufzuwärmen. Doch kein Problem ohne Lösung: Schon bald kullern die komplett lehmfarbenen Kinder die Wiese hinunter und verwandeln sich innerhalb von Minuten in Kinder im bunten Regengewand.
Hirn ausschalten
Faszinierend ist für mich vor allem, dass Kinder die Gabe haben, mit absoluter Begeisterung leidenschaftlich in Dinge einzutauchen, die nicht nur angenehm sind. Sobald Interesse da ist und das gemeinsame Erleben in den Vordergrund rückt, ist es auf einmal nicht mehr wichtig, dass alle Grundbedürfnisse wie zum Beispiel Wärme durchgehend gedeckt sind. Der „Was ist dann“-Gedanke begleitet Kinder im Kindergartenalter kaum. Zu sehr leben die Kinder im Moment, um daran zu denken, dass sich Wasser und Gatsch ja auch einen Weg in die Kleidung suchen könnten. Und wenn’s dann doch passiert? Circa eine Stunde vor Kindergartenschluss sind die ersten Kinder so durchnässt, dass kaum mehr eine trockene Stelle zu finden ist. Neben dem Feuer ist genug Platz, um sich auf einem Schaffell umzuziehen und wieder in trockenes Gewand zu finden. Mittags liefern wir dann alle Kinder wieder bei ihren Eltern ab. Am Fußballplatz, wo unser Treffpunkt für die Übergabe der Kinder ist, kann das Wasser nicht schnell versickern. Wir waten durch die nasse Wiese und befreien die eine oder den anderen noch von den letzten Gatschspuren. Heute kommen wir alle „frisch gewaschen“ aus dem Wald zurück und sind dann doch dankbar, dass es daheim eine heiße Badewanne und ein trockenes Wohnzimmer mit Kachelofen gibt.