Irgendwann begann die Zeit. Das kümmerte zunächst lange niemanden, denn sie lief sowieso; von selbst. Irgendwann befanden Menschen, dass man die Zeit messen müsse und dass Uhren dafür geeignet sind. Und bald, dass es sich bei Uhren um ein probates Kontrollinstrument handelt. Allerdings gibt es Uhren, so wie wir sie heute gewohnt sind, noch nicht allzu lange. Doch der Reihe nach.
von Jost Alexander Binder
Irgendwann begann die Zeit. Das kümmerte zunächst lange niemanden, denn sie lief sowieso; von selbst. Irgendwann befanden Menschen, dass man die Zeit messen müsse und dass Uhren dafür geeignet sind. Und bald, dass es sich bei Uhren um ein probates Kontrollinstrument handelt. Allerdings gibt es Uhren, so wie wir sie heute gewohnt sind, noch nicht allzu lange. Doch der Reihe nach.
Von der Urzeit zur Uhrzeit
Die Zeit irgendwie zu fassen zu kriegen, das war schon immer ein Ziel menschlichen Strebens. Aber während Zeitmaschinen wahrscheinlich niemals die Sphäre der Science Fiction überwinden werden, versichern uns zahlreiche Retreat-, Meditations- oder Zeitmanagement-Angebote, dass sich die eigene Lebenszeit mittels Übung und Mindset absolut optimieren lässt. „Klotzen nicht kleckern“ lautete dagegen die Devise im Altertum. Denn Pyramiden, Steinkreise etc. sind kein Projekt für ein Wochenendseminar. Die Zeiträume deren Beobachtung diese frühen Monumente zumindest auch gedient haben dürften, waren wahrscheinlich genauso groß, wie der Aufwand, sie zu errichten. Kleinere Zeiträume – kleinere Messinstrumente: Handlicher als ein Steinkreis erwiesen sich die Sonnenuhr (bei Tag) und die Wasseruhr (auch bei Nacht) – beides war spätestens bei den Römern verbreitet, denn diese bemühten bereits die zweifelhafte Gleichung „Zeit ist Geld“. Und Geld benötigten die Römer reichlich, v.a. für ihre Kriege (daran hat sich bis heute leider wenig geändert, allerdings sind kaum noch Römer daran beteiligt). Das sog. Stundenglas (eine Sanduhr, die allerdings verlässlich nach Ablauf umgedreht werden musste) war v.a. in Klöstern verbreitet. Zeitmessung hatte nämlich weniger den Zweck die Zeit anzuzeigen (wozu auch), sondern eine bestimmte zu verkünden, typischerweise mittels einer Glocke (auch daran hat sich nichts geändert). Mechanische Uhren mit Pendel und Gewichten kamen erst ab dem 14. Jahrhundert auf und dienten ebenfalls nur dem regelmäßigen Bimmeln. In China dagegen wurde die Zeit geräuchert, sodass sich die Tageszeit am Duft erkennen ließ – je nachdem welches Räucherwerk gerade für eine gewisse Zeit lang verbrannt wurde. Ziffernblätter und Zeiger fanden erst Jahrhunderte später Verwendung. Pünktlichkeit war bis vor ca. 100 Jahren also gar nicht möglich. Verabredungen konnten nur in sehr grob gefassten Zeiträumen, bzw. zu halbwegs gut definierbaren Tageszeiten stattfinden. Z.B. im Morgengrauen, bei Sonnenuntergang, zu Mittag …
Mit der Industrialisierung kam auch die Standardisierung der Zeit: Die Welt wurde in Zeitzonen unterteilt. Und (endlich!) wurde auch Pünktlichkeit plötzlich möglich und auch gleich zur Tugend. Allerdings musste man das dazugehörige Instrument zunächst noch bewerben: In ihrem Katalog von 1891 wirbt die Electric Signal Clock Company mit ihrem besten Modell (einer Uhr namens „Autokrat“, Anm.) und lobt seine Präzision und seine Bedeutung in Schulen, Behörden und Fabriken. Sie vergrößere die Disziplinargewalt schlagartig und helfe beim „Jäten des unerwünschten Unkrauts“ (gemeint waren Bummler und Nachzügler). Zugleich würde die Arbeitsmoral gesteigert und dergleichen mehr. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit seien von nun an die überlegenen Eigenschaften und die Uhr (der Autokrat) daher ein unverzichtbares Hilfsinstrument. Zu dieser explizit tayloristischen Haltung passt die Beobachtung, dass Uhren scheinbar immer mehr unsere körperliche Nähe gesucht haben: zuerst als Wanduhr, dann als Taschenuhr, zuletzt als Armbanduhr… und sicher werden wir sie uns schon bald nebst Schlüssel- und Bezahlfunktionen subcutan implantieren lassen können. Das Pseudonym Homunculus veranlasste diese Entwicklung dazu, Armbanduhren als die „Handschellen unserer Zeit“ zu bezeichnen. Ich fand sie früher eigentlich ganz „kleidsam“, trage aber schon seit Jahren keine mehr. Ich glaube, ich habe sie abgelegt, als wir Kinder bekommen haben. Nicht, dass ich Uhrzeiten und Termine im beruflichen Kontext ignorieren könnte – diesen Status habe ich leider noch nicht erreicht. Aber die letzte Armbanduhr hat mir mein damals achtmonatiger Schwager, obwohl noch zahnlos, vom Gelenk gekaut. Da wurde mir klar: Für Kinder ist die Uhrzeit keine Kategorie. Erstens, weil sie sie noch nicht lesen können und zweitens, weil es für sie überhaupt keinen Sinn ergibt, die Zeit in „starre Perioden zu zerhacken, die einen Angriff auf die persönliche Freiheit bedeuten und keine Unterschiede in Temperament und Wahrnehmung zulassen“, wie es der viktorianische Schauspieler und Publizist Charles Warner einst formulierte. Kinder orientieren sich zunächst an bestimmten Routinen, wie sie im familiären Umfeld vorkommen, oder daran, wie die Eltern mit Zeit umgehen, z.B. der ständigen Mahnung zur Eile (warum auch immer) oder dem Satz „Ich habe jetzt keine Zeit“ (wie jetzt?), bei dem ich mich selbst viel zu oft ertappe.
Der Filmproduzent Florian Opitz hatte ein ähnliches Problem und hat einen ganzen Film („Speed – auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, 2012) der Frage gewidmet, wieso sich die Lebensgeschwindigkeit gerade in unseren, von vergleichsweise hohem Wohlstand verwöhnten Regionen so „unnatürlich“ erhöht hat. Bei seiner Recherche quer durch die Kulturen traf er u.a. auch den Zeitforscher Karlheinz Geißler. Der meint, wir hätten nicht zu wenig Zeit, sondern zu viel zu tun. Unser Problem sei die schier nicht zu bewältigende Menge an Möglichkeiten, die uns vorgaukelt, aus einem riesigen Angebot von Gelegenheiten jede beliebige wählen und auch quasi zeitgleich ausprobieren zu können. Und zu allem Überfluss (genau dieser!) erhöht das rund um die Uhr verfügbare Angebot an allem und jedem eben die Lebensgeschwindigkeit: Verkehr, Produktion, Unterhaltung und Information findet ununterbrochen statt und fordert uns auf, zu reagieren. Das beabsichtigte Reaktionsmuster ist der Konsumakt. Konsumiert wird aber nicht nur Materielles, sondern auch Informationen, Meinungen, Wahrheiten, Glaubenssätze. Wir sollen ständig entscheiden, wählen, teilnehmen, mitmachen. „Wenn wir von dem Zeitdruck wegkommen wollen, dann müssen wir mehr verzichten“, resümiert Geißler. Man kann in einem Leben nicht alle Gelegenheiten wahrnehmen! Andere Kulturen, vor allem solche, die oft für rückständig befunden werden, sind uns da vielleicht um einiges voraus.
Soziodiverse Zeitwahrnehmung
Der Anthropologe Edward T. Hall hat bei der Analyse unterschiedlicher Kulturen zwei wesentliche Formen der Zeitempfindung unterschieden: Jene Kulturen, die sich an der Uhrzeit orientieren; sie sind meist weniger flexibel bei der Planung ihrer Aktivitäten. Sie agieren eher linear, konzentrieren sich auf einen Zeitpunkt, z.B. einen Termin oder eine Frist. Andererseits gibt es Kulturen, die sich an der sog. Ereigniszeit orientieren; sie verfolgen meist eine polychrone Zeitplanung, tun gerne viele Dinge gleichzeitig. Kulturen im Ereigniszeitmodus sind üblicherweise durch starke Beziehungen zu ihren Mitmenschen gekennzeichnet. Sie legen eher Wert auf die Qualität derselben, weniger darauf, Zeitpläne exakt einzuhalten. In Burundi würde man z.B. niemals jemanden im Gespräch unterbrechen, nur weil es gilt einen Termin einzuhalten. Viele nordamerikanische Indianerkulturen haben überhaupt kein Wort für Zeit. Zeit existiert dort nur in der ewigen Gegenwart, Uhrzeit ist etwas vollends Abstraktes. Bei den Sioux ist das Wort „Sommer“ und „heiß“ identisch. Wenn es nicht mehr heiß ist, ist also auch kein Sommer. Wenn wir ehrlich sind, sehen wir das genauso. Ob das aber der 2024. Sommer nach irgendeinem beliebig festgelegten Ereignis war, ist an sich völlig unerheblich. Im jüdischen Kalender wäre es der 5784. Sommer gewesen, im islamischen der 1445. oder 1446. Im Maya-Kalender… – who knows. Andere Naturvölker messen die Zeit nicht, sondern beschreiben sie. Etwa eine halbe Stunde ist in Madagaskar „die Zeit die man zum Reiskochen braucht“. In Burma ist es für Mönche Zeit aufzustehen „wenn es hell genug ist, dass man die Adern auf der Hand erkennt.“ Bei den ostkanadischen Micmac läuft die Totenklage nach bestimmten Phasen ab, deren Länge sich nach dem Empfinden der Trauergemeinde richtet. Der Wechsel der Phasen erfolgt, wenn alle finden, dass die Zeit reif ist. Die Inka hatten eine 10-Tage-Woche. Bei anderen Völkern haben Wochen sogar unterschiedlich viele Tage. Manchen Völkern genügt es, zwischen langen und kurzen Perioden zu unterscheiden, manche orientieren sich am Pegelstand von Flüssen oder am Auftreten bestimmter Tier- oder Pflanzenarten. Einige Völker besitzen zwar Armbanduhren, nutzen sie aber nicht; in Zeitfragen greifen sie lieber auf ihre traditionellen Techniken und Begrifflichkeiten zurück. Auf den Andamanen besteht der Kalender aus Gerüchen. Das Aroma verrät die Jahreszeit … – um hier nur einige wenige Beispiele stellvertretend für unzählige naturbasierte Zeitmaßnahmen zu erwähnen. Wie sich der Klimawandel auf die Verlässlichkeit all dieser „Naturkalender“ künftig auswirken wird, bleibt abzuwarten. Apropos warten …
Warte-Perspektiven
Warten, besser gesagt: bewusstes Warten lassen hat viel mit Machtverhältnissen zu tun. Nehmen wir Godot. Godot leistet nichts. Sein ganzer Wert entsteht einzig aus der Tatsache, dass man auf ihn wartet. Wer in der Position ist, über die Zeit anderer zu verfügen, und sei es, sie in Warteposition verharren zu lassen – hat eine gewisse Macht. Brasilianer halten unpünktliche Menschen daher für sehr erfolgreich: Da „wichtige Leute“ ihre Untergebenen oft warten lassen, scheint das ein Indiz für einen höheren Status zu sein (umgekehrt sollte dies ja tunlichst nicht passieren). Und es ist bei uns nicht anders: Wer zum Chef will, muss sich einen Termin geben lassen und mitunter trotzdem warten. Umgekehrt hat man für den Chef jederzeit verfügbar zu sein – in manchen Berufen nicht selten auch außerhalb der Arbeitszeit … Und aus der Konsumpsychologie kennen wir die Masche ebenfalls: Man nutzt die vermeintliche Verknappung, auch die zeitliche, um Produkte attraktiver bzw. unverzichtbarer erscheinen zu lassen. „Lass sie lachen, lass sie weinen, aber vor allem: Lass sie warten!“, empfiehlt der Seifenopernproduzent Bill Smethurst und propagiert damit den berühmt-nervigen Cliffhanger … dieses psychologisch eigentlich sehr plump konzipierte, aber de facto mit nahezu 100%iger Sicherheit die Seriensucht nährende Fortsetzungs-Unding: Unmittelbar vor einer Werbeeinschaltung (die gefühlt länger dauert, als der Film), oder am Ende der jeweiligen Folge oder Staffel positioniert dient sie nur dem einen Zweck: die Preise für Werbeeinschaltungen in die Höhe zu treiben. Erhöht Warten also den Wert von Zeit?
Wer in einer Warteschlange steht, empfindet das wohl eher umgekehrt und fühlt sich seiner Zeit beraubt. Eine perfide Art des Zeitdiebstahls, mit der Briten (die das Schlangestehen perfektioniert haben) anders zurechtkommen als Deutsche oder Österreicher, die damit überhaupt nicht zurechtkommen. Ich kenne jedenfalls niemanden, der es nicht hasst, in einer Warteschlange zu stehen. Dabei haben wir es so schlecht nicht: Über die Sowjetunion der 80er Jahre wird berichtet, dass die jährliche Warteschlangenzeit alleine beim Einkaufen 30 Mrd. Stunden betrug (das ist die Jahresarbeitsleistung von ca. 15 Mio. Menschen). In den ideologisch antagonistisch geprägten USA verbrachte der Durchschnittsamerikaner laut Feldstudien zur gleichen Zeit immerhin ca. fünf Lebensjahre mit Schlangestehen, zzgl. ganzer sechs Monate vor (ausgerechnet!) roten Ampeln.
Andernorts ist Warten sogar zu einem angesehenen Beruf avanciert. Gemeint ist aber nicht der englische Waiter im Restaurant oder Pub – diese Bezeichnung will wahrscheinlich eher den Gast beruhigen, indem man suggeriert, dass es da jemanden gibt, der noch länger auf die Bestellung wartet, als man selbst auf das Bestellte. Gemeint sind die „despachantes“, wie sie in Brasilien heißen, oder „gestores“, so heißen sie in Mexiko: Das sind Platzhalter, die für andere, wohlhabendere Bürger in der Schlange stehen. Die in diesen Ländern enorm lebenszeitraubenden bürokratischen Prozesse machen das Warten dort so exorbitant zeitaufwendig, dass sich daraus ein Bedarf an gut bezahlten Warte-Dienstleistungen entwickelt hat. Der Staat diszipliniert das Volk eben gerne mit seinem Amtsschimmel und den daraus entstehenden Warteschlangen. Und wie überall kann sich der wohlhabendere Teil der Gesellschaft von diesem Unbill freikaufen.
Zeiger, Ziffern, Zielvorgaben
Wir sollten uns wirklich immer wieder bewusst machen, was wir uns und unseren Kinder schenken, indem wir sie die Lernwerkstatt besuchen lassen. Eine Schule, in der es nicht nur den Hausaufgaben-, Test- und Schularbeitsdruck nicht gibt, sondern auch den Zeitdruck nicht!
Pünktlichkeit wird auch in der LWS geschätzt. Und erst recht, die Art und Weise des Lernens! Aber diese ist dadurch gekennzeichnet, dass wir den Kindern und ihrem Lernwillen die Zeit geben, die es braucht. Nicht jede/r lernt die gleichen Lerninhalte zur gleichen Zeit, in der gleichen Geschwindigkeit, mit dem gleichen Enthusiasmus und dem gleichen Leistungsanspruch. Für mich klingt das ziemlich einleuchtend. Leider unterliegen aber noch zu viele Systeme im Bildungswesen den Regimen von Standardisierung, Gleichmacherei und Uniformität. Gelingen kann das freilich nur aufgrund zeitlicher Vorgaben – Termine, Fristen, Deadlines, Zeitfenster … Noch immer wird im 50-Minuten-Takt unterrichtet. Nicht weil das so effizient wäre, sondern weil Lehrer nunmal nach Stunden bezahlt werden. Die Dauer von Pausen richtet sich nicht nach dem Bedarf an Erholung, sondern kündigt nur den nächsten Takt an. Es hat sich da wenig geändert in den letzten fünf Jahrzehnten. Allen pädagogischen Erkenntnissen, allen veränderten Haltungen, allem besseren Wissen zum Trotz!
Und der Takt setzt sich fort. Woche für Woche, Monat für Monat, Semester für Semester. Der Zeitforscher Karlheinz Geißler (s.o.) sieht unser Leben viel zu stark durch die Uhr, durch Maschinen und Geräte dominiert: „Dieser Takt bedeutet Wiederholung ohne Abweichung. Immer das Gleiche. Unser natürliches Leben als Menschen ist aber bestimmt durch den Rhythmus. Und Rhythmus bedeutet Wiederholung mit Abweichung: Jeder Tag ist zwar gleich lang, aber doch inhaltlich anders.“ Mitunter völlig anders. Systeme, die auf Effizienzsteigerung mittels Standardisierung basieren, eliminieren diese Vielfalt! Sie erkennen Vielfalt (s. freigeist Nr. 70) nicht als den strategischen Vorteil, der sie in komplexen Systemen ist. Und komplex sind Systeme nunmal, sobald Menschen darin vorkommen. Hochkomplex!
Komplexität verträgt sich aber leider so gar nicht mit Standardisierung. Am Ende wird ein Lebensabschnitt in einer handvoll Ziffern gebündelt und der Mensch anhand derselben bewertet. Ziffern, die es einem Menschen vielleicht unmöglich machen jenen weiteren Bildungsweg zu beschreiten, der vielleicht das ideale MiIieu zur Entfaltung bisher ungenutzter Potentiale geboten hätte. Andere, womöglich aussagekräftigere Informationen über den Schüler Müller, Maier oder Gerber werden nirgends erfasst.
Zeitgeist freigeist
Das Wort des Jahres 2022 lautete „Zeitenwende“. Vierzig Jahre zuvor warb Fritjof Capra mit seinem Werk „Wendezeit“ für ein neues Weltbild. Weitere etliche Jahre zuvor verpackte man die Ankündigung eines neuen Zeitalters im Lied „Age of Aquarius“ aus dem Musical „Hair“. Zeit ist nunmal, egal ob man ihren Verlauf nun zyklisch oder linear betrachtet, untrennbar verbunden mit Veränderung. Nicht immer vollzieht sich diese in der erwarteten Geschwindigkeit, oftmals gar unmerklich. Sterne und Sternbilder haben das nahezu identische Aussehen seitdem Menschen den Nachthimmel betrachten. Und doch könnte es sein, dass viele dieser Sterne längst nicht mehr existieren, denn ihr Licht, das uns heute erreicht, ist Millionen Jahre alt. Auch irdische Prozesse können sich fast unbemerkt vollziehen. Das Schulsystem ist eines dieser „großen Räder“, die sich kaum spürbar drehen.
Und es bewegt sich doch! Und das ist dem Engagement, der Überzeugung und Beharrlichkeit all jener zu verdanken, die unermüdlich dafür kämpfen, ihren Kindern eine gehaltvolle Schulzeit zu ermöglichen. Wie glücklich dürfen wir uns schätzen, dass wir uns als Eltern und BegleiterInnen in der Lernwerkstatt dafür entschieden haben, ein schulisches Umfeld zu schaffen, in dem der Alltag nicht durch ständig steigenden Leistungsdruck bei gleichzeitig zunehmender Orientierungslosigkeit geprägt ist. Auch in der Lernwerkstatt gibt es reichlich Baustellen; auch dieses System benötigt regelmäßig hie und da eine Nachjustierung. Indes bin ich überzeugt: Wir machen bereits vieles „richtig“. Siddharta war bereit, so viel Zeit wie nötig einzusetzen, um seine Ziele zu erreichen. Von der Uhr beherrscht zu werden, war für ihn eine Verschwendung seiner wertvollsten Ressource. In der Lernwerkstatt negieren wir nicht den Wert der Uhr, der ihr in vielen Belangen absolut zusteht, noch ignorieren wir die Zeit. Doch wir ersparen es unseren Kindern, sich mehr als nötig dem Takt der Uhrzeit zu unterwerfen und schenken unseren Kindern die Chance, so lange wie möglich im Rhythmus ihrer Ereigniszeit zu leben und zu lernen – und echte Freigeister zu bleiben.
Die Zeit macht nichts ungeschehen – das gilt auch für alles Positive.